Nadel und Faden assoziiert die Kunstgeschichte mit dem Gewerbe der Frau. Für viele Jahrhunderte bleiben Frauen dem Nähen, Sticken und Weben notgedrungen verbunden, und somit dem Textil. In Webereien und Stickereien produzierten Frauen bis ins 20. Jahrhundert das Resultat ihrer künstlerischer Ideen, bevor es auch ihnen erlaubt wurde Kunstuniversitäten zu besuchen. Im 21. Jahrhundert angekommen, greifen zeitgenössische Künstlerinnen die Geschichte der nähenden Frauen auf, transformieren sie plakativ oder hinterfragen somit die Stellung der Frau an.
Möglich, dass sich zwischen Antonella Zazzeras „armonici“ und der geschilderten Geschichte wenige Parallelen ergeben, aber dennoch vermitteln die Skulpturen eine starke Verbundenheit mit der Welt der Textilien. Die übereinander gelagerten, verschiedenfärbigen Kupferdrähte, in unterschiedlichen Stärken, verändern sich zu einer Form, die wie in sich geflochten oder gewebt wirkt. Entgegen dem tatsächlichen Material wirken die Skulpturen leicht, fast fragil.
Dass sich die Künstlerin dem Material Kupfer annimmt, hat eine tiefe historische Bedeutung. Denn Kupfer gehört zu den ersten Metallen, die Menschen zur Verarbeitung benutzten. Neben Gold, Silber und Zinn ließ sich Kupfer leicht verwenden, um Gegenstände herzustellen, die für den Alltagsgebrauch wichtig waren.
Während der Kupferzeit, vom 5. Jahrtausend bis zum 3. Jahrtausend v. Chr., wurde Kupfer inflationär verwendet. Aber auch die heutige Gesellschaft zehrt sich nach dem Metall, zu dessen Eigenschaften die problemlose Leitung von elektrischem Strom zählt. Dass Antonella Zazzera, die Künstlerin aus Todi, Perugia, Kupferdraht verwendet um ihre sedimentierten Skulpturen zu schaffen, bezieht sich auf die traditionsreiche Geschichte des Materials. Denn die Italienerin schätzt Geschichte. Im Vordergrund ihrer Arbeiten steht dennoch die Natur, die Antonella Zazzera als instinktiv beschreibt; in den steinzeitlichen Höhlenmalereien sieht sie Vorbilder. Neben der Historie und dem Material stellt sich v.a. ein Element in den Mittelpunkt: das Licht. Unter der Leitung von Mauro Salvi besann sich Antonella Zazzera auf bestimmte Werte in der Kunst: Konzept, Licht, Raum. Ihre künstlerischen Arbeiten - Malerei, Fotografie, Skulptur, basieren auf dem Konzept des visuellen und empfindsamen Archetypus, der mit dem Sein identifiziert wird. Antonella Zazzeras aktuelle Arbeit stellt das Ergebnis eines Prozesses dar, der mit Fotografie seinen Anfang fand. Sie untersuchte den fotografischen Raum auf das zentrale Moment des Lichts. Licht unterstützt und nährt die Skulpturen, die in vielen Überlagerungen zu einem kompakten Körper, zu einer Form geworden sind. Licht absorbiert und wird in der Skulptur reflektiert – die Künstlerin arbeitet mit der Dynamik zwischen Licht und Schatten, die ihren Skulpturen immer wieder neue Ansichten verleiht. Mit dieser Methode bezieht sich Antonella Zazzera auf einen Altmeister in der italienischen Malerei: Caravaggio. Die Momenthaftigkeit des Lichts und die Hell-Dunkel- Modellierung sagen ihr besonders zu. Ganz allgemein, denkt die Künstlerin im Arbeitsprozess viel mehr an Malerei, als an Skulpturen. In ihren Gedanken geht sie die großen Meister des Lichts u.a. im Impressionismus bis hin zur Gegenwart durch.
Außerdem spielt Raum eine eklatante Rolle im Verhältnis zur Skulptur. Die schlichten Formen, mit denen Antonella Zazzera arbeitet, haben keine figürliche Entsprechung. Sie sind reine Formen, die im Prozess des Überlagerns entstehen, und die auf den Raum Bezug nehmen, in dem sie installiert werden – entweder im Innenraum als stehende Skulptur oder an die Wand befestigt, oder aber im Außenraum, in Mitten der Natur, in der es sein kann, dass nicht nur das Licht sondern auch die Natur selbst Teile der Skulptur verändert. Federico Sardella meint, er könne sich die Kupferformen „auch in der Umarmung eines Baumes“ vorstellen. Eine der jüngsten Arbeiten für den Außenbereich wirkt wie ein Seidenband, dessen Ende auf einer Wasseroberfläche ausgerollt wurde. Die Wechselwirkung zwischen Natur und Skulptur spielt eine entscheidende Rolle im Oeuvre der Künstlerin.
Wie ein Faden finden sich die Kupferdrähte in den optischen Geweben wieder, die Antonella Zazzera zu Körper gebildet „armonici“ nennt. Verschiedene Farben und unterschiedliche Stärken modifizieren die harmonischen Kreaturen, wie die Skulpturen auch genannt werden. Durch den Einfall von Licht scheinen sie zu leben, gemeinsam mit den Farben und den Linien, erscheinen sie voll mit Energie und bergen eine fast bewegte Spannung.
Farbig schillernd changiert das Material in den Lichtveränderungen zwischen Hell und Dunkel und verleiht der Skulptur einen gewissen charmanten Schimmereffekt. Gleichzeitig wirken die Skulpturen diaphan.
von Mag.a Lucia Täubler