„anselm glück nennt sich und verwandte Seelen gelegentlich Agenten. Er empfindet sich also als jemand, der im Auftrag einer fremden Macht für eine meist komplizierte Angelegenheit unterwegs ist. Agenten führen verdeckte Aktionen durch, täuschen, bluffen, spielen mit dem Feuer, haben tausend Gesichter und hundert Nationalitäten. Sie müssen „Alleskönner” sein und im Falle der Gefangennahme glaubwürdige „Nichts-wisser”. Zu ihrer Grundausbildung zählen das Erlernen von Geheimschriften ebenso wie Kampfarten der wirksameren Natur.
Der mittelgroße, schmächtige anselm glück mit dem schönen Gesicht, das an den grenzgängerischen Zauberer Artaud erinnert, ist die ideale Besetzung für eine solche Figur, die man stets nur als Spitze eines Eisberges wahrnimmt. Nichts an ihm verrät die eigentliche Abenteuerexistenz, außer sein Blick, der stets souverän das Gegenüber und die Umgebung im Griff hält. glück ist ein Augenereignis im mehrfachen Sinn dieses Begriffs und ich muss zugeben, dass er und seine Kunsttaten mich seit unserer ersten Begegnung faszinieren. Herrn anselm geht es selten gut. Er hat wie die meisten fähigen Agenten keinen Pakt mit dem Frohsein. Und doch ist er in den raren hellen Stunden willens, einen verflixten Kerl abzugeben. Dann verteilt er an seine Zuhörer großzügig Witz und Aberwitz, lässt sie nobel im Unklaren über das Ausmaß der gnadenlosen Präzision seiner Charakteranalysen in Bezug auf sich und andere, erweist sich als der wahrscheinlich einzige in Wien ansässige Mensch, der in den vergangen 10 Jahren jede Nummer des New Yorker gelesen hat, gönnt sich Kaschmirsakkos und die Nähe flirrender Damen. In solchen Augenblicken erhebt er sich, streckt sich, dehnt sich in ein wunderbares Lachen, um wenig später wieder in sich zusammenzustürzen und nichts mehr ertragen zu können (oder zu dürfen) als tagelanges U-Bahn-Fahren von Ziellosigkeit zu Ziellosigkeit.
anselm glück ist zweifellos ein Sonderfall und der scheinbaren Freundlichkeit seiner Gemälde sollte man nicht auf den Leim gehen. Es sind doppel- und dreifachbödige Werke von hohem Rang, Überlagerungen von Dramen und Tragikkomödien. Nicht weniger sind sie codierte Botschaften und Planzeichnungen eines Meisteragenten, dessen Auftrag ich zwar dank der unverzeihlichen Indiskretion eines V-Mannes seit längerem kenne, aber mich in diesem Text nicht der gleichen Sünde des Aufdeckens schuldig machen will."
(André Heller über anselm glück, Paris am 25.02.2002)