Zum Amalgam von Licht und Farbe im Werk von Harald Gangl
Wäre nicht das Auge sonnenhaft
die Sonne könnte es nie erblicken…
-Goethe
Sind es Unterwasseraufnahmen? Diffuse Wolkenformationen? Oder Schneegestöber? Farbeffekte von Mikrophotographien? Reste einer Farbpalette? Feuerspuren? Bloße Lichtreflexe? Kosmische Geschehnisse? Extreme Vergrößerungen winziger Objekte? Mit dem Aufkommen einer sogenannten „gegenstandslosen“ Malerei, ob „peinture informel“, Tachismus oder „Gestische“ Malerei, wird nicht nur das Bild vom Gegenständlichen befreit, sondern ebenso der Blick auf das Werk selbst, der sich jenseits von Gegenständlichem konstituieren kann. Losgelöst von Figurativem, wird das Bild zu einer Membran von Intrinsischem und Extrinsischem. Die literarische Moderne prägte dafür den Begriff „stream of consciousness“: innere Bewusstseinsströme bzw. innerer Monologe, die für den Leser erst durch Verbalisierungsströme sichtbar und rezipierbar werden (James Joyce Roman „Ulysses“ ist ein paradigmatisches Beispiel).
Die informelle Malerei arbeitet mit derselben Verfahrensweise. Analog dazu können wir also die Malweise von Harald Gangl als „inneren Monolog“ skizzieren, wobei anstelle von Schrift Farbmaterialien fungieren, mit denen er „spricht“, beziehungsweise „schreibt“. Seine informelle Malerei – die nur partiell einen klassischen gestischen Charakter aufweist – ist ein komplexer, prozessualer Vorgang. Die selbstbespannte Molino-Leinwand (sie muss sehr stark gespannt sein, um sein Malprozedere realisieren zu können) wird vorgeleimt und mit Malweiss (Kreidegrund) grundiert, aber auch Fabriani-Papier ist ein wichtiges Trägermaterial. Damit ist die Basis für die darauf entstehenden Farbarchitekturen geschaffen. Malschichten werden mittels Pinsel, Händen, Spachtel oder Walze in einem intuitiven Prozess aufgetragen und immer wieder abgeschabt, abgekratzt und neu aufgesetzt.
Die so entstehenden Malspuren ermöglichen äußerst fein nuancierte Farbelemente und Farbübergänge, die ineinanderfließen und jede Konturierung verweigern. So wie im „inneren Monolog“ die Wörter ineinanderfließen (und oft keine Satzbauten aufweisen), gehen bei Harald Gangl die Farbvaleurs ineinander über und bilden die für ihn typischen Farbtexturen. Ihm geht es nicht um eine konzeptuelle, sondern um eine atmosphärische Bildgewinnung. Seine dabei entstehende „Rhetorik“ der Farben bewirkt eine lebendige Bildfläche und gleichzeitig auch durch die minutiöse Schichtenarchitektur seiner spontan-filigranen Malweisen einen äußerst inspirierenden Bildraum. In den rezenten Arbeiten finden sich noch feinere Lasur-Schichten, fragil wirkende Farbelemente, die das Bild-Räumliche weiter akzentuieren.
Die sich im Sinne des Figurativen einer Gegenständlichkeit verweigernden Malerei verfügt über wenige Instrumentarien einer Bildgestaltung. Farbe, quasi-organische Formen sowie Licht sind die Basisingredienzien, aus denen sich der Bildkosmos generieren kann. Augenblicksempfindungen sind dabei gewissermaßen der Treibstoff des Malens. Die daraus resultierenden „Bild-Stimmungen“ evozieren unendliche Innerwelten. Bei Harald Gangl sind es Lichtwelten, die sich aus den Farbräumen entpuppen, wie überhaupt die Gewinnung von Bildlicht den Grundton seiner Malerei bildet. Es ist die dabei entstehende Bildtransparenz, die einen dematerialisierenden Farbeffekt bewirkt. Licht als Ursprung allen Lebens erfährt in den Arbeiten des Künstlers beinahe eine „gotische“ Dimension: das Materiale transzendierend, mutieren die Farben selbst zu Lichtwelten, zu unendlichen spirituellen Weiten, zu einem grenzenlosen Wahrnehmungskosmos.
Die Amalgamierung von Licht und Farbe formt die subtilen Maltexturen der Werke; sind, metaphorisch gesprochen, ihre Klangsphären und erfordern vom Betrachter eine Einstimmung des Blicks, sozusagen ein Hören der Farben, um ihre Klangvaleurs wahrnehmen zu können. Die Freisetzung des Blicks von Figurativem ermöglicht seinen „inneren“ Blick und wird dadurch auf sein je eigenes Sehen verwiesen: Was sehen ich, wenn ich scheinbar nichts sehe? Das Sehen als immaterieller Vorgang einer Weltwahrnehmung findet erst im „gegenstandslosen“ Bild seine genuine Sichtbarkeit. Die Trennung von Blick und Auge als zwei Sphären des Sehens, wie sie etwa Jacque Lacan skizziert hat, impliziert eine spezielle Subjektkonstituierung qua Wahrnehmung. Es ist kein Zufall, dass die Wahrnehmung von retinal nicht Sichtbarem mit den Erkenntnissen des Unbewussten von Freud, diese mit der Erfindung der Röntgenphotographie, der Relativitätstheorie von Einstein und dem Entstehen „abstrakter“ Kunstformen zeitlich korreliert. Das Jahrhundertcredo von Paul Klee – „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ – öffnet das Bild für eine neue Form der Imagination jenseits einer ikonischen Welterfahrung. Es geht um nichts geringeres als um eine neue Ästhetik, evoziert durch die Loslösung der Farbe von ihrem Gegenstand, also durch ihre Autonomisierung im künstlerischen Bildprozess. Das Licht wird dabei zu einem neuen Bild-Gen: Nicht mehr von außerhalb kommend, ist es nun ein „intrinsisches“ Bildphänomen.
Auch die neuen Arbeiten von Harald Gangl „erzählen“ uns von diesem Bildparadigma: Dass das Sehen mehr ist als ein ikonisches oder psychologisierendes Wahrnehmen der retinalen Welt. „Selbstseher“ betitelt Egon Schiele ein Werk – und geht es nicht auch darum, sich selbst sehen zu sehen? Die Absenz einer Außenwelt darf nicht als deren Verweigerung gesehen werden, sondern als deren „informelle“ Erweiterung beziehungsweise als Extensivierung des Lebens und als Weg aus dem ikonographischen Dschungel ins Freie der Bilderwelten.
Carl Aigner
Direktor des Landesmuseums Niederösterreich
Harald Gangl reduziert in dem Maße, in dem die Fülle seiner Bildsprache zunimmt – je mehr er sich abverlangt, je tiefer er in die Farbtöne eintritt, um so reicher ist das Ergebnis – reich an gedanklicher Fülle, aber auch reich an ertastbarem und fühlbarem Material. Wenn wir uns nun nach langer Zeit von dem Bild abgewandt haben, bleibt mehr ein Geschmack und ein Klang in uns zurück, als eine bildliche Vorstellung. Wir haben, ohne es zu merken, mit dem Bild gesprochen, es hat uns in eine wortreiche Unterredung verwickelt, einmal ganz laut, dann wieder ganz leise. Und wir haben, ohne es erkannt zu haben, einen Ausschnitt der Welt gesehen: Wir haben unterschieden zwischen Himmel und Erde, haben einen Schneesturm gesehen die Oberfläche einer Lacke oder die weite Landschaft Afrikas, das Flimmern über der Wüste oder den Sprühregen eines Wasserfalls im fernöstlichen China. Auf jeden Fall ist es eine ganze Menge, auf jeden Fall viel zu viel, um es mit dem losen Wort „Abstraktion“ abzutun – und wenn wir nur sagen können, es ist „schön“, so sei uns das zugestanden, denn um die ganze Fülle der Erlebniswelt auszudrücken, die wir durchlebt haben, fehlen uns die Worte.
Wäre nicht das Auge sonnenhaft,
die Sonne könnte es nie erblicken…
– Goethe
Sind es Unterwasseraufnahmen? Diffuse Wolkenformationen? Oder Schneegestöber? Farbeffekte von Mikrophotographien? Reste einer Farbpalette? Feuerspuren? Bloße Lichtreflexe? Kosmische Geschehnisse? Extreme Vergrößerungen winziger Objekte? Mit dem Aufkommen einer sogenannten „gegenstandslosen“ Malerei, ob „peinture informel“, Tachismus oder „Gestische“ Malerei, wird nicht nur das Bild vom Gegenständlichen befreit, sondern ebenso der Blick auf das Werk selbst, der sich jenseits von Gegenständlichem konstituieren kann. Losgelöst von Figurativem, wird das Bild zu einer Membran von Intrinsischem und Extrinsischem. Die literarische Moderne prägte dafür den Begriff „stream of consciousness“: innere Bewusstseinsströme bzw. innerer Monologe, die für den Leser erst durch Verbalisierungsströme sichtbar und rezipierbar werden (James Joyce Roman „Ulysses“ ist ein paradigmatisches Beispiel).
Die informelle Malerei arbeitet mit derselben Verfahrensweise. Analog dazu können wir also die Malweise von Harald Gangl als „inneren Monolog“ skizzieren, wobei anstelle von Schrift Farbmaterialien fungieren, mit denen er „spricht“, beziehungsweise „schreibt“. Seine informelle Malerei – die nur partiell einen klassischen gestischen Charakter aufweist – ist ein komplexer, prozessualer Vorgang. Die selbstbespannte Molino-Leinwand (sie muss sehr stark gespannt sein, um sein Malprozedere realisieren zu können) wird vorgeleimt und mit Malweiss (Kreidegrund) grundiert, aber auch Fabriani-Papier ist ein wichtiges Trägermaterial. Damit ist die Basis für die darauf entstehenden Farbarchitekturen geschaffen. Malschichten werden mittels Pinsel, Händen, Spachtel oder Walze in einem intuitiven Prozess aufgetragen und immer wieder abgeschabt, abgekratzt und neu aufgesetzt.
Die so entstehenden Malspuren ermöglichen äußerst fein nuancierte Farbelemente und Farbübergänge, die ineinanderfließen und jede Konturierung verweigern. So wie im „inneren Monolog“ die Wörter ineinanderfließen (und oft keine Satzbauten aufweisen), gehen bei Harald Gangl die Farbvaleurs ineinander über und bilden die für ihn typischen Farbtexturen. Ihm geht es nicht um eine konzeptuelle, sondern um eine atmosphärische Bildgewinnung. Seine dabei entstehende „Rhetorik“ der Farben bewirkt eine lebendige Bildfläche und gleichzeitig auch durch die minutiöse Schichtenarchitektur seiner spontan-filigranen Malweisen einen äußerst inspirierenden Bildraum. In den rezenten Arbeiten finden sich noch feinere Lasur-Schichten, fragil wirkende Farbelemente, die das Bild-Räumliche weiter akzentuieren.
Die sich im Sinne des Figurativen einer Gegenständlichkeit verweigernden Malerei verfügt über wenige Instrumentarien einer Bildgestaltung. Farbe, quasi-organische Formen sowie Licht sind die Basisingredienzien, aus denen sich der Bildkosmos generieren kann. Augenblicksempfindungen sind dabei gewissermaßen der Treibstoff des Malens. Die daraus resultierenden „Bild-Stimmungen“ evozieren unendliche Innerwelten. Bei Harald Gangl sind es Lichtwelten, die sich aus den Farbräumen entpuppen, wie überhaupt die Gewinnung von Bildlicht den Grundton seiner Malerei bildet. Es ist die dabei entstehende Bildtransparenz, die einen dematerialisierenden Farbeffekt bewirkt. Licht als Ursprung allen Lebens erfährt in den Arbeiten des Künstlers beinahe eine „gotische“ Dimension: das Materiale transzendierend, mutieren die Farben selbst zu Lichtwelten, zu unendlichen spirituellen Weiten, zu einem grenzenlosen Wahrnehmungskosmos.
Die Amalgamierung von Licht und Farbe formt die subtilen Maltexturen der Werke; sind, metaphorisch gesprochen, ihre Klangsphären und erfordern vom Betrachter eine Einstimmung des Blicks, sozusagen ein Hören der Farben, um ihre Klangvaleurs wahrnehmen zu können. Die Freisetzung des Blicks von Figurativem ermöglicht seinen „inneren“ Blick und wird dadurch auf sein je eigenes Sehen verwiesen: Was sehen ich, wenn ich scheinbar nichts sehe? Das Sehen als immaterieller Vorgang einer Weltwahrnehmung findet erst im „gegenstandslosen“ Bild seine genuine Sichtbarkeit. Die Trennung von Blick und Auge als zwei Sphären des Sehens, wie sie etwa Jacque Lacan skizziert hat, impliziert eine spezielle Subjektkonstituierung qua Wahrnehmung. Es ist kein Zufall, dass die Wahrnehmung von retinal nicht Sichtbarem mit den Erkenntnissen des Unbewussten von Freud, diese mit der Erfindung der Röntgenphotographie, der Relativitätstheorie von Einstein und dem Entstehen „abstrakter“ Kunstformen zeitlich korreliert. Das Jahrhundertcredo von Paul Klee – „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ – öffnet das Bild für eine neue Form der Imagination jenseits einer ikonischen Welterfahrung. Es geht um nichts geringeres als um eine neue Ästhetik, evoziert durch die Loslösung der Farbe von ihrem Gegenstand, also durch ihre Autonomisierung im künstlerischen Bildprozess. Das Licht wird dabei zu einem neuen Bild-Gen: Nicht mehr von außerhalb kommend, ist es nun ein „intrinsisches“ Bildphänomen.
Auch die neuen Arbeiten von Harald Gangl „erzählen“ uns von diesem Bildparadigma: Dass das Sehen mehr ist als ein ikonisches oder psychologisierendes Wahrnehmen der retinalen Welt. „Selbstseher“ betitelt Egon Schiele ein Werk – und geht es nicht auch darum, sich selbst sehen zu sehen? Die Absenz einer Außenwelt darf nicht als deren Verweigerung gesehen werden, sondern als deren „informelle“ Erweiterung beziehungsweise als Extensivierung des Lebens und als Weg aus dem ikonographischen Dschungel ins Freie der Bilderwelten.
Mag. Carl Aigner, ATMOSPHERES, 2019
siehe dazu auch: www.haraldgangl.com
Ansicht Art.Fair Köln 2012 © Boris Breuer